Dorothea Wagnerberger

Gesundheitsrisiko Geschlecht
Interaktives Edutainment zur
Geschlechtersensiblen Medizin

Masterarbeit 2023

Ausstellung “Art, Gender & Medicine” in der Kvu, Berlin, 10.2023
Ausstellung im Schauwerk, Magdeburg, 12.2023

Das Geschlecht beeinflusst, wie wir erkranken und behandelt werden sollten. Dennoch werden bisherige Erkenntnisse der geschlechtersensiblen Medizin noch selten in der Praxis umgesetzt. Die Masterthesis untersucht, wie Patient:innen präventiv für dieses komplexe Thema sensibilisiert werden können.

Basierend auf Methoden der Gesundheitskommunikation wurden zwei sich ergänzende interaktive Edutainment-Formate entwickelt: In einem Ausstellungs-Parcours schlüpfen Besucher:innen in die Rolle von Patient:innen und werden beispielhaft mit geschlechtsspezifischen Aspekten von Behandlungs(um-)wegen konfrontiert. 
Ein Kartenset liefert anschließend anhand vielfältiger Fallbeispiele weitere Informationen und unterstützt eine vertiefende Auseinandersetzung auch im privaten Umfeld.

Die abschließende Evaluation zeigte das Potenzial des Konzeptes, im Zusammenspiel beider Formate über einen spielerischen und interaktiven Zugang Informationen zu vermitteln, die Gesundheitskompetenz und das Bewusstsein zu stärken, sowie einen Diskurs anzuregen.

Konzept I

Der Parcours Irrwege der Medizin vermittelt exemplarisch geschlechtsspezifische Aspekte der Krankheitsbilder Herzinfarkt und Depression. 

Die Besucher:innen schlüpfen anhand von einer gezogenen Symptombeschreibung in die Rolle von Patient:innen. Auf der Suche nach ihrer Diagnose können sie verschiedene Stationen (Abwarten, Hausarzt, Psychiaterin und Notruf) aufsuchen. Doch von den Mediziner:innen werden sie immer wieder nach Hause geschickt. Die Symptome werden immer brenzliger, die Besucher:innen schaffen es nur durch Initiative z.B. über den Notruf und Nachfragen zur Auflösung. Hier wird ihnen offenbart, in welcher Rolle sie steckten. „Untypische“ Symptome in der Rolle als Frau oder Mann verzögerten ihre Diagnose.

Konzept II

Das Kartenset Gendermedol liefert anhand von vielfältigen Fallbeispielen weitere Informationen, unterstützt eine vertiefende Auseinandersetzung und Diskussion im privaten Umfeld.

Jede Karte enthält ein kurzes Fallbeispiel, die Auflösung sowie Hintergrundinformationen auf der Rückseite.

Drei verschiedene Interaktionstechniken verleihen dem Spiel einen Rätselcharakter und laden zum Entdecken ein.

Handlungsjoker und der erklärende Beipackzettel ermutigen zusätzlich, das Thema anzusprechen.

Hintergrund

Daten über cis-Männer bilden einen Großteil des Wissens und werden repräsentativ für alle Menschen verwendet. Ihre Maße, Gewohnheiten und Bedürfnisse gelten zu oft als Standard. Die Folgen einer Welt, die sich auf diese männerbezogenen Daten bezieht und darauf zugeschnitten ist, sind vielfältig und betreffen gesellschaftliche, wirtschaftliche, medizinische und alltägliche Bereiche. 

Besonders kritisch wird diese Datenlücke im Gesundheitswesen. Denn auch die Medizin orientiert sich derzeit noch zu oft am (männlichen) Einheitsmenschen und behandelt damit alle Patienten:innen gleich, trotz erheblicher Unterschiede – in der Diagnose, Behandlung, Medikation oder Forschung. Diese Gleichbehandlung sowie geschlechtsbezogene Stereotype können zu lebensbedrohlichen Verzerrungen führen. 

Die geschlechtersensible Medizin berücksichtigt diese Aspekte ebenso wie die komplexen biologischen und soziokulturellen Unterschiede. Obwohl die WHO bereits seit 2001 eine geschlechtersensible Gesundheitsversorgung empfiehlt, wird dem Thema noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Vorgehen

Die Arbeit soll auf den aktuellen Missstand der überwiegend androzentrischen Einheitsmedizin aufmerksam machen.

Die Zielgruppe der Patient:innen, Hauptakteur:innen im medizinischen Versorgungssystem, hat nicht nur den Wunsch nach Veränderung, sondern auch die Macht, einen Bewusstseinswandel voranzutreiben. Sie wurde mittels einer Online-Umfrage und Leitfadengestützter Interviews analysiert und daraufhin vier Personas entwickelt wurden.

Methodisch orientiert sich die Arbeit an den Zieletappen der Gesundheitskommunikation.

Um diese abzudecken, wurde im Ideation-Prozess die Notwendigkeit einer Kombination verschiedener Strategien und der Methoden Furchtappell und Fallbeispielen deutlich.

Forschungsfrage:
Wie können Gesundheitsinformationen kommuniziert und gestaltet werden, um mit interaktiven Edutainment-Formaten Patient:innen präventiv für die Notwendigkeit einer geschlechtersensiblen Medizin zu sensibilisieren?

Umsetzung

Für die Ausarbeitung des Konzepts und seiner Handlungsstränge wurden zwei Klick-Prototypen getestet. Der räumliche Aufbau wurde mittels Papiermodellen überprüft und optimiert.

Die technische Umsetzung erfolgte mit einem Arduino, der über Taster und Sensoren die Eingaben an den Stationen erkennt und die Informationen an einen Processing-Sketch weitergibt. Alle Stationen sind farblich und mit Icons codiert. Der Weg wird gespeichert, um am Ende einen individuellen Rückblick auszudrucken. Die abschließende Aufklärung erfolgt durch aufklappbare Silhouetten, die die normierte Sichtweise des vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci hinterfragen und Informationen zu den Stationen gegenüberstellen.

Evaluation

Die abschließende Evaluation zeigte das Potenzial des Konzepts und des Zusammenspiels der beiden Formate, durch den spielerischen und interaktiven Zugang Informationen zu vermitteln, zu sensibilisieren und die Gesundheitskompetenz zu stärken.

In zwei Versuchsgruppen wurde eine qualitative Befragung durchgeführt sowie der UEQ-S Fragebogen ausgefüllt, um Potenziale und Schwachstellen zu identifizieren und die drei Use Cases zu bewerten.

Ausblickend wäre insbesondere eine Umsetzung für mehrere Personen gleichzeitig im Parcours sinnvoll, während das Kartenset einen guten Rahmen bietet, es um neue Beispiele zu erweitern.